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Die Vorfahren meiner Mutter kommen aus der Gegend östlich des Oderhaffs in Hinterpommern. Mitte der 30er Jahre wird von jedem öffentlich Bediensteten, auch von einem Telegraphenbauarbeiter der Deutschen Reichspost, ein Ariernachweis gefordert. So habe ich das Glück, durch entsprechende Nachforschung meiner Eltern in den Kirchenbüchern Details über meine Herkunft zu wissen.
Am 13.4.1831 wurde Carl Macheel, meiner Mutter Großvater, in Altsarnow im Kreis Cammin als Kind des Bauern Michael Macheel und der Caroline Ernestine, geborene Groth, geboren. Carl heiratete Johanna Friedericke Christine Radloff, geboren am 7.1.1840 in Lanke, Tochter der Marie Christine, geborene Groth und des Christian Friedrich Radloff. Es waren die Eltern meiner Großmutter Martha, die am 30.11.1877 in Altsarnow das Licht der Welt erblickte. Oma Martha hatte acht Geschwister. Der älteste Bruder war mein Großonkel August. Dessen Tochter Hedwig Otto hatte in Altdamm in der Innenstadt einen Friseursalon. An Besuche dort kann ich mich gut erinnern. Zu ihren Kindern Ilse und Günther hatte meine Mutter noch in Schwerin-Lankow bis in die 70er und 90er Jahre Kontakt. - Großonkel Michael und Großtante Toni hatten den Hof von Urgroßvater Carl Macheel in Altsarnow geerbt. Großtante Emma, Marthas Schwester, hatte Wilhelm Groth in Dischenhagen geheiratet. Die Ehe blieb kinderlos. Deshalb boten sie meinem Onkel Walter nach dessen Konfirmation an, als Hoferbe nach Dischenhagen zu kommen. Walter hatte bereits eine Tischlerlehrstelle in Gollnow in Aussicht gehabt. In Dischenhagen finden wir von Juli 1943 bis März 1945 Zuflucht. -
Wohnhaus auf dem Bauernhof
in Dischenhagen, Kreis Cammin
Großonkel Emil war Schneider in Stettin und mit Großtante Anna verheiratet. Nach zwei Totgeburten blieb die Ehe kinderlos, weil es damals noch nicht den ärztlichen Kunstgriff des Kaiserschnitts gab. Sie luden meine Mutter im Alter von 15-17 Jahren des öfteren für 2-3 Tage nach Stettin ein, gingen mit ihr ins Theater und wollten sie einmal auf einem Dampferausflug von Stettin nach Rügen mit ihrem Schneidergehilfen verkuppeln. Dieser junge Mann sagte meiner Mutter jedoch nicht sonderlich zu. Dessen Freund, der mit an Bord war, gefiel ihr viel besser und so tanzte sie an Bord fast nur mit jenem. Das sah Großtante Anna jedoch nicht gerne und verbot dem Kavalier die Tänze mit Erna. An diesen Ausflug erinnert sich meine Mutter sehr gerne. Vor Stubbenkammer wurden die Reisenden ausgebootet und man bestieg die Kreidesteilküste, um dann nach Saßnitz zu wandern, wo das Schiff sie wieder für die Rückreise an Bord nahm. - Großtante Marie war die Witwe von Großonkel Otto, einem Vetter von Oma Martha, der als Brandmeister bei der Feuerwehr bei einem Löscheinsatz tödlich verunglückt war. Wenn sie zum Nähen nach Lübzin kam, saß Klein-Erna immer bei ihr mit an der Nähmaschine. Zitat der Großtante: „Martha, die Erna muss mal Schneiderin werden.“ - Großonkel Ferdinand aus Harkenwalde war Stellmacher und Landwirt. Er war mit der anderen Großtante Anna verheiratet. Die beiden Annas waren grundverschieden in Wesen und Charakter. - Ernas Mutter Martha war das drittjüngste Kind. Bei ihrer Konfirmation hatte der Pastor von Altsarnow Besuch aus Stettin. Diese Leute nahmen Martha als Kindermädchen mit in die Stadt. In Stettin lernte Oma Martha kochen und war später bei einem Kommerzienrat „in Stellung“. Beim Einkauf musste sie für die Dienstboten immer „Leutewurst“ extra beschaffen. Dort in Stettin lernte sie dann auch ihren späteren Mann, Karl Dollerschell aus Lübzin, kennen, der in Stettin als Arbeiter lebte.
In diesem Haus in Lübzin (Lubczyna)wohnte meine Großmutter Martha Dollerschell. Hier wuchs meine Mutter Erna auf. Das Haus überlebte den 2. Weltkrieg. - Podwórko i dom w Lubczynie. Tu wzrastala moja matka. Dom przetrwal wojne.
Am 29.3.1836 wurde mein Urgroßvater, Ferdinand Dollerschell, in Luisenthal als Sohn des Viktualienhändlers Heinrich Dollerschell und seiner Frau Caroline, geborene Thomas, geboren. Meiner Mutter Lehrer behauptete, Dollerschell sei ein Hugenotten-Name: Der Preußenkönig hatte Generationen zuvor protestantische Hugenotten-Asylanten aus Frankreich in der Oderniederung am Dammschen See angesiedelt. Von Tante Frieda wurde diese These jedoch in Frage gestellt, da Ferdinand ursprünglich katholisch war.
Am 8.4.1837 wurde Johanna Zimmermann als Tochter des Erbbesitzers Johann Christian Zimmermann und Dorothea, geborene Balck, in Lübzin geboren. Sie heiratete meinen Urgroßvater Ferdinand Dollerschell und brachte am 10.5.1875 meinen Großvater Karl Dollerschell in Lübzin zur Welt, der im 1. Weltkrieg in Frankreich wegen eines verstümmelten Telegramms sein Leben lassen musste.
Der großväterliche Dollerschellsche Hof in Lübzin ging zunächst an den Bruder Albert. Da sich dessen Frau nicht mit der unter einem Dach lebenden Schwiegermutter Johanna Dollerschell vertrug und es zu ständigen Streitereien kam, wurde Karl, der sich als Arbeiter in Stettin beim Bau der Hakenterrasse verdingt hatte, auf den Hof geholt. Albert wohnte mit seiner Familie auf der anderen Straßenseite und die Familien wechselten seither kein Wort mehr miteinander. In Rosenow gab es auch noch Dollerschells. Über Verwandtschaft ist nichts Näheres bekannt.
Am 20.10.1910 wurde meine Mutter, Erna Emma Martha Dollerschell, in Lübzin am Dammschen See geboren. Sie war als viertes Kind das Nesthäkchen. Ihre Schwester Frieda war als Älteste die Stütze der Mutter in Küche, Haus, Stall und Hof. Sie heiratete Hermann Tank und übernahm mit diesem den Hof. Der Bruder Franz Dollerschell heiratete Käthe Trester und sollte von deren Vater Gustav in Lübzin dessen gutgehende Fleischerei übernehmen. Er gilt seit Kriegsende als vermisst. Der Bruder Walter Dollerschell übernahm, wie bereits erwähnt, vom Onkel Wilhelm Groth den Hof in Dischenhagen und heiratete Erna Keller aus Hohenbrück. Auch er gilt seit August 1944 (in Rumänien) als vermisst.
Miejsca waznych wydarzen z mego dziecinstwa na Pomorzu Zachodnim, poludniowym wschodzie Zalewu Szczecinskiego i Jeziora Dabskiego, krajobrazy pochodzenia moich przodków: Szczecin, Dabie, Lubczyna w powiecie Nowogard.
Bei den Dollerschells in Lübzin wurde normalerweise „platt“ gesprochen: Klein Ernas erstes bekanntes Zitat: „Ick kann up'n Disch kiecken!" Meine Mutter und ihre Schwester unterhielten sich, wenn sie sich später im Rheinland trafen, bis ins hohe Alter in pommerschem Platt, das sich allerdings von dem im etwa 30 km nördlich gelegenen Dischenhagen gesprochenen Platt schon wieder stark unterschied und mehr dem vorpommerschen Niederdeutsch glich.
Als im August 1914 der Weltkrieg begann, war meine Mutter gut drei Jahre alt. Dass er später der erste genannt werden würde, ahnte man damals noch nicht. Am 2.8.1916, als Erna 5 Jahre alt war, wurde ihr Vater in Frankreich im Krieg erschossen. Großvater Karl Dollerschell war an der Westfront vor Verdun eingesetzt und hatte 1916 zur Erntezeit Heimaturlaub. Vor Ablauf desselben telegraphierte der Lübziner Dorfpastor an die Front und erbat für Karl Verlängerung des Urlaubs wegen noch nicht voll eingebrachter Ernte. Aus der telegraphischen Antwort entnahm man: „genehmigt“. Es war jedoch ein Irrtum: Das Telegramm war verstümmelt: Es hieß in Wirklichkeit: „nicht genehmigt“. Daraufhin wurde der „Fahnenflüchtige“ zu Hause von den Feldgendarmen abgeholt und zur Front zurückgebracht. Für ihn stand sogleich das Todesurteil fest. Er wollte seine Uhr und andere Wertsachen nicht mehr mitnehmen. Vermutlich wurde er in einer Strafkompanie in die vordersten Linien kommandiert und fand kurz darauf vor Fort Duamant den Tod. Großmutter Martha stand mit vier kleinen Kindern und der Landwirtschaft alleine. Der Urgroßvater Ferdinand wollte daraufhin wieder seinen Sohn Albert auf den Hof zurückholen. Mutter Martha wehrte sich aber und blieb. Der kleine Hof mit einem Pferd, sechs Kühen, drei bis fünf Schweinen, Hühnern und Gänsen am östlichen Ende vom „langen Haus“ ernährte die Familie schlecht und recht. Drei Schweine wurden in der Regel pro Jahr zum Eigenbedarf geschlachtet. Das Fleisch wurde in einem großen Fass eingepökelt, aber auch schon damals in Gläsern eingeweckt. In den Dachkammern duftete es im Herbst köstlich nach den dort gelagerten Winteräpfeln aus dem großen Garten. Großvater Karl war fortschrittlich und hatte bereits vor dem Krieg elektrisches Licht auf dem Hof und zusammen mit einem anderen Bauern eine Mähmaschine. Während der Kriegszeit hatte Großmutter Martha russische Kriegsgefangene als Hilfe, darnach musste sie den Hof mit ihren Kindern alleine bewirtschaften. Beim Pferdekauf und anderen Geschäften versuchte man sie übers Ohr zu hauen. Wenn man sie um ihre kleine Kriegerwitwenrente beneidete, konnte sie sehr zornig werden: schließlich habe man ihren Mann totgeschossen. Sie hatte ein schweres Leben. Sie verstarb im September 1944 kurz vor der Flucht, die ihr damit erspart blieb, im Alter von 66 Jahren.
Ganz obern rechts: Großtante Anna(?), Mitte ganz rechts: Großonkel Emil, zweite Reihe: links Großonkel Wilhelm Groth, rechts daneben Großtante Emma Groth, *Macheel, zweite Reihe in der Mitte: die ältere Schwester meiner Mutter, meine Tante Frieda, rechs daneben Martha Dollerschell, *Macheel, rechts daneben mit Hut: Großonkel Emil (Scheider), ganz links unten: meine Mutter Erna, unten rechts: ihr Bruder Walter, links daneben: ihr Bruder Franz (meine Onkel)
1917 wurde meine Mutter im Alter von 6 Jahren während des Krieges eingeschult. Mit den anderen Geschwistern musste sie immer mit aufs Feld und in den Stall. Oft nahm sie das Gesangbuch mit auf den Acker, um die Liedverse auswendig zu lernen, die für Schule und Konfirmandenunterricht als Hausaufgaben zu erledigen waren. Sie hatte immer Angst, die geforderten Leistungen nicht erfüllen zu können. Klein-Ernas Alptraum war das Melken. Unter der Kuh auf dem Melkschemel sitzend, zitterte sie vor Angst. Sie kriegte das Euter nie richtig leer gemelkt und ihre große Schwester Frieda musste immer noch nachmelken. Erna war der Laufbursche des Hofes. Wenn zum Mähen mit der Maschine ein zweites Pferd gebraucht wurde, musste sie zum Hof des Partners laufen und fragen. Auf dem Dachboden fand Erna ein geheimnisvolles „7. Buch Moses“, in dem sie oft las.
Palmsonntag 1918, im letzten Kriegsjahr, als Erna 7 Jahre alt war, kam zu Friedas Konfirmation viel Verwandtenbesuch. Ein altes interessantes Familienfoto zeugt noch heute davon (siehe oben!).
1925 wurde meine Mutter mit 14 Jahren konfirmiert. Bei einer Kriegerwitwe in Lübzin lernte sie zusammen mit zwei anderen Mädchen (Freundin Magda) fünf Monate lang im Winter nähen. Die Künste des Zuschneidens vervollkommnete sie bei ihren Besuchen bei ihrem Onkel Emil, der Mäntel für eine jüdische Konfektionsfirma schneiderte. Während ihrer Kindheit und Jugend gab es oft Ausflüge mit dem Dampfer über den Dammschen See ans andere Ufer nach Stettin. Eine Dampferfahrt mit Zwischenstation in Bergland und unter der Oder-Baumbrücke hindurch bis zum Bollwerk unter der Hakenterrasse in Stettin dauerte etwa 1 ½ Stunden. Wenn im Winter der See zugefroren war, kam der Eisbrecher (Dampf-Eisbrecher „Stettin“ liegt heute im Museumshafen Hamburg-Övelgönne) und hielt die Fahrrinne für den Dampfer frei. Ging auch das nicht mehr, musste man von Röhrchen aus über Altdamm mit dem Zug nach Stettin fahren. Im harten Winter 1928/29 war der Dammsche See monatelang bis an Ostern heran zugefroren. Da früher vor der Eindeichung die Wiesen in der Odermündung im Winter regelmäßig überschwemmt waren, hatte Erna immer den Eindruck, der Zug fahre über das Wasser, weil nur der Eisenbahndamm aus den Fluten herausragte. 1925 war der Dammsche See eingedeicht worden. Die Wiesen waren vorher in jedem Winter weiträumig überschwemmt gewesen. Gleich hinter dem elterlichen Hof begannen früher im Winter die Eisflächen, wo die Dorfjugend, auch Erna, kilometerweit bis auf den See hinaus Schlittschuh laufen konnte. Ab dem 10. Lebensjahr war Erna mit Begeisterung Eisläuferin. In einer großen Schlange, Hand an Hand, vorweg der Pastorssohn, zog man auf dem Eis fröhlich gemeinsam seine Bahn. Schlittschuhe und Schuhe hatte Erna von der großen Schwester Frieda übernommen, nachdem diese herausgewachsen war. In der Inflationszeit wäre kein Geld für eine Neuanschaffung vorhanden gewesen. Im Winter gingen die Männer aus dem Dorf auf den zugefrorenen See zum Aalstechen. Es wurden Löcher ins Eis geschlagen, mit Spießen ging es dann auf Aaljagd. In Tonnen wurde der Aal geräuchert.
Die Stadt war Ernas großes Ziel. Wie hatte doch Bruder Franz gesagt: „Erna, heirat’ bloß keen Buern, den mokst du unglöcklich!“ Weg von der Landwirtschaft, weg vom Dorf! In der Stadt winkte das bessere Leben.
Meine Mutter Erna im jugendlichen Alter
Mit 18 lernte Erna Dollerschell 1928 beim Tanzen in Lübzin meinen Vater, Karl Ruszkowski, aus Stettin kennen.
Alte Hansestadt, ehemalige Residenz der pommerschen Herzöge, vorübergehend unter schwedischer Herrschaft; seit 1720 preußische Provinzhauptstadt Pommerns; bis 1873 Festung; seit 1945 polnisch.
Stare miasto hanzeatyckie, niegdysiejsza siedziba pomorskich ksiazat, przeszlo pod szwedzkie wladztwo; od 1720 stolica pruskiego Pomorza; do 1873 twierdza; od 1945 polskie.
Stare miasto hanzeatyckie, niegdysiejsza siedziba pomorskich ksiazat, przeszlo pod szwedzkie wladztwo; od 1720 stolica pruskiego Pomorza; do 1873 twierdza; od 1945 polskie.
Julius war am 29.7.1877 unehelich von der MariannaRuszkowskain Schönau, Kreis Schwetz, an der Weichsel geboren worden (Geburtsurkunde aus dem Polnischen übersetzt). Er war als Kind zusammen mit seiner Mutter, die nach seiner Geburt einen Weißenberger geheiratet hatte, nach Stettin gekommen. Marianna Ruszkowska, geboren am 9.5.1854 in Schönau, war Kind der Juliana Ruszkowska, geborene Spichalska und des Felix Ruszkowski. Meine Großmutter Johanna hatte ihn über ihre Schwester kennengelernt, die mit seinem Halbbruder Weißenberger verheiratet war. Oma Johanna Ruszkowski war eine geborene Runge und am 10.4.1879 in Stettin als Tochter des Schuhmachermeisters und Kirchendieners Johann Heinrich Karl Runge und der Johanne Charlotte Henriette, geborene Ganz, zur Welt gekommen. Mein Vater, Karl Ruszkowski, geboren am 3.1.1906 in Stettin, hatte die Realschule bis zur 8. Klasse besucht und dann Maschinenschlosser gelernt. Den schon begonnenen Besuch der Maschinenbauschule musste er wegen Geldmangels abbrechen. Er erwarb den Führerschein und verdingte sich als Treckerfahrer bei einer Firma, die für ein landwirtschaftliches Gut in Röhrchen unweit von Lübzin Wiesen umpflügte. 1929 verlobten sich Karl und Erna. Die Zeiten waren schlecht. Die Wirtschaft lag danieder. Blanke Not und Massenarbeitslosigkeit beherrschten den Alltag. Mein Onkel Hermann Tank und mein Vater, beide Maschinenschlosser von Beruf, hatten sich 1930 zusammen selbständig gemacht. Mit einem großen Trecker mit Eisenrädern und einem riesigen Pflug dahinter pflügten sie für die Bauern die Wiesen in der Oderniederung um. Die Zeiten wurden immer schlechter: Die Bauern konnten die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Hitler erließ den Bauern die Schulden. Konkurrenten drückten die Preise. Firma Hermann & Karl kam in der Folge in die Pleite. Trecker und Pflug stehen noch bis in die 40er Jahre hinein auf dem Hof in Lübzin und verrosteten. Ich spiele als Junge bei Besuchen in Lübzin darauf herum und habe heute noch den Schmierölgeruch aus dem Getriebe in der Nase.
Das Culmer Land, aus dem die Vorfahren Ruszkowski stammen, gehörte schon lange zu Preußen.
Zur Zeit der Geburt meiner Ahnen im 19. Jahrhundert lebten im Culmer Land Polnisch und Deutsch sprechende Menschen friedlich zusammen.
Hier ein interessanter Text des Publizisten Sebastian Haffner aus seinem Buch: Preußen ohne Legende:
Text über die Zeit des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm II., von 1786—97
…Preußen machte 1795 plötzlich einen Sonderfrieden mit Frankreich, zu sehr günstigen Bedingungen: Ganz Norddeutschland bis zum Rhein und Main wurde unter preußischer Garantie neutralisiert; es wurde, was man heute eine preußische Einflußzone nennen würde. Gleichzeitig bekam Preußen im Osten, wo seit 1792 Krieg zwischen Polen und Russland herrschte und damit die endgültige Aufteilung Polens auf die Tagesordnung gekommen war — denn über den Ausgang gab es wenig Zweifel —‚ die Hände frei, während Osterreich im Kriege mit Frankreich gebunden blieb; mit dem Ergebnis, dass diesmal Preußen den Löwenanteil bekam. Polen bis zum Bug und bis zur Pilitza kam an Preußen. Preußen gewann zwei neue riesige, rein polnische Provinzen, Südpreußen mit der Hauptstadt Posen und Neuostpreußen mit der Hauptstadt Warschau. Fast das ganze Kernpolen war damit preußisch geworden. Preußen aber war jetzt praktisch ein Zweivölkerstaat.
Hier nun muss man tief Atem holen. Preußen als Zweivölkerstaat, ein halbpolnisches Preußen — das erscheint im Lichte seiner späteren Geschichte wie eine Fata Morgana, unwirklich, unnatürlich, ein sonderbarer Schritt vom Wege. Es hat ja auch nur zwölf Jahrelang Bestand gehabt. Aber so unnatürlich war es nicht. Das eigentliche Urpreußen, Ost- und Westpreußen, hatte ja schon lange in engster Verbundenheit mit Polen existiert — Ostpreußen fast 200 Jahre lang als polnisches Nebenland, unter königlich-polnischer Oberhoheit, Westpreußen sogar mehr als 300 Jahre lang als integraler Bestandteil Polens. Warum sollte diese polnisch-preußische Koppelung bei veränderten Machtverhältnissen nicht ebenso gut unter preußischem Vorzeichen weitergehen können wie vorher unter polnischem? Ganz so unmöglich, wie es die deutschnationale Geschichtsschreibung später dargestellt hat, war eine Entwicklung Preußens nach Osten statt nach Westen keineswegs. Ein halbpolnisches Preußen — dem Zeitalter des Nationalismus, das mit dem 19. Jahrhundert anbrach und das wir durchaus noch nicht ganz wieder hinter uns haben, musste oder muss das monströs klingen. Aber dem 18. Jahrhundert waren Zwei- oder Mehrvölkerstaaten keineswegs anstößig, und eine staatliche Vereinigung Preußens etwa mit Bayern, mit dem es nie etwas zu schaffen gehabt hatte, wäre ihm viel unwahrscheinlicher erschienen als die Vereinigung Preußens mit Polen...
..-Heute wiederum schämt man sich der polnischen Teilungen um Polens willen, empfindet sie als Unrecht, ja als Verbrechen am polnischen Volk, das ja dabei nicht gefragt wurde. - Aber die Völker wurden damals eben nicht danach gefragt, unter welcher Herrschaft sie leben wollten, niemals und von niemandem, und sie erwarteten es auch nicht. Es gab im 18. Jahrhundert weder einen deutschen noch einen polnischen Nationalismus. Politik war Sache der Kaiser und Könige, und dass Bevölkerungen je nach dem Gange der Politik ihren Staat und ihren Herrn wechselten, war gang und gäbe; sie fanden sich damit ab, sie waren daran gewöhnt. An eine „deutsche Sendung“ Preußens dachte kein Mensch; am wenigsten die Deutschen; aber auch die Preußen nicht. Und die Polen, die in ihrer Glanzzeit ja auch ihrerseits nicht gezögert hatten, sich litauische, weißrussische, ukrainische, auch deutsch besiedelte Gebiete (Westpreußen!) einzuverleiben, waren zwar gekränkt, aber kaum verwundert, wenn ihnen bei veränderter Machtlage von Seiten Russlands, Preußens und Osterreichs das gleiche widerfuhr. Eher waren sie froh, wenn sie an Preußen oder Osterreich gerieten und nicht an Russland; etwa so, wie die Deutschen nach 1945 froh waren, wenn sie unter eine westliche Besatzungsmacht fielen und nicht unter die östliche.
Allerdings stand am Ausgang des 18. Jahrhunderts der Nationalismus als Massen beherrschende Idee sozusagen vor der Tür. Die Französische Revolution brachte ihn auf, zugleich mit den ebenso neuen Ideen der Demokratie und der Volkssouveränität. Und viele Deutsche wurden dann in der Folgezeit gerade durch die napoleonische Fremdherrschaft, viele Polen gerade durch das Teilungsregime zu Nationalisten. Viele, noch längst nicht alle. Der Kampf zwischen dem neuen Nationalismus und der alten Staatenordnung zog sich noch durch das ganze 19., ja— in Osterreich—bis tief ins 20. Jahrhundert; erst heute hat der Nationalismus weithin gesiegt, wenigstens als Idee. Aber in der Zeit Friedrich Wilhelm II. lag das alles noch in der Zukunft, und es hätte mehr als normaler Weitsicht bedurft, es vorauszusehen...
Hier noch ein interessanter Text des Publizisten Sebastian Haffner aus seinem Buch: Preußen ohne Legende:
So bleibt nur noch ein Blick auf das letzte und schrecklichste Kapitel der preußischen Nachgeschichte. Es betraf nicht mehr den preußischen Staat; den gab es schon nicht mehr. Nicht mehr Preußen als Preußen zahlte die Zeche des verlorenen Zweiten Weltkrieges, wie die des Ersten; aber preußische Menschen taten es, die Ost- und Westpreußen, Pommern, Neumärker und Schlesier, diese Menschen gemischten deutschen und westslawischen Geblüts, die einst den Hauptteil der preußischen Volkssubstanz gestellt hatten. Sie verloren jetzt das Land, das sieben Jahrhunderte lang ihre Heimat gewesen war; erst durch Massenflucht, dann durch Vertreibung. Damit wurde dem preußischen Baum nun auch noch die Wurzel ausgerissen, nachdem die Krone längst dahin und der Stamm gefällt war. Denn was die Vertreibung rückgängig machte und sozusagen widerrief, das war nicht mehr die preußische Geschichte: Es war der Uranfang preußischer Vorgeschichte, die Kolonialgeschichte des 12. und 13. Jahrhunderts, das Werk der deutschen Ritter, Mönche und Siedler, die damals nach Ostland geritten waren. Nicht nur ihre Nachkommen wurden jetzt zurück nach Westen getrieben: auch die Nachkommen der westslawischen Völker, die sie einst vorgefunden und mit denen sie sich längst ununterscheidbar vermischt hatten. Historische Gerechtigkeit kann man das nicht nennen. Es war ein Gräuel; das letzte Gräuel eines an Gräueln überreichen Krieges, den freilich Deutschland unter Hitler begonnen hatte; und auch mit den Gräueln hatten die Deutschen leider angefangen.
Was tut man mit Gräueln, wie wird man mit ihnen fertig? Aufrechnung hilft nicht weiter; Gedanken an Rache machen alles noch schlimmer. Irgendeiner muss die Seelengröße aufbringen, zu sagen: „Es ist genug.“ Dass sie dazu fähig gewesen sind, ist ein Ruhmestitel, den keiner den vertriebenen Preußen nehmen kann. Und wer will, kann die Nüchternheit, mit der sie, ohne einen Gedanken an Rache.
Unter der Adresse: http://pogranicza.szczecin.art.pl/woycicki.doc finden sich folgende interessante Zitate: ...Die Frage des deutschen kulturellen Erbes in den westlichen und nördlichen Gebieten Polens mag, wurzelnd in den nicht immer laut verkündeten Ressentiments, ein Keim für Meinungsverschiedenheiten sein. Im Bewußtsein der Deutschen ist, völlig verständlich, ihr Beitrag an der zivilisatorischen Entwicklung der nördlichen und westlichen Gebiete verankert. Unabhängig von ihrem Verhältnis zur Oder-Neisse-Grenze betrachten sie diese Gebiete als deutsches Kulturerbe. Im Grunde teilen die Polen diese Ansicht, fühlen sich aber von der Tatsache gedemütigt, daß es ihnen im zurückliegenden halben Jahrhundert nur in geringem Grad gelungen ist, diese Kulturlandschaft mit eigenen, den vorgefundenen ebenbürtigen Symbolen anzureichern. Dieser Zustand läßt sich nur auf eine Weise ändern: Man muß die deutsche Hinterlassenschaft hegen und umsorgen und gleichzeitig mit neuen, kreativen, schöpferischen und sich dauerhaft in die Kulturlandschaft einfügenden Elementen bereichern. Nur auf diese Weise lassen sich die für beide Seiten gefährlichen Hochs und Tiefs entladen... Für viele Jahre existierten die West- und Nordgebiete im Bewußtsein der hier angesiedelten polnischen Bevölkerung in erster Linie als in grauer Vorzeit „verlorene” und nach dem Kriege „wiedergewonnene”...